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Die neue „Evangelische Hauptkirche“ von Wiesbaden, die am 13. November 1862 eingeweiht wurde, ersetzte die am 27. Juli 1850 niedergebrannte Mauritiuskirche. Dieser möglicherweise schon in karolingischer Zeit gegründete Sakralbau hatte auf dem heutigen Mauritiusplatz im Herzen der Stadt gestanden und war nach mehrfachen Erweiterungen zur bedeutendsten protestantischen Kirche der damals rund 13 000 Einwohner zählenden Stadt geworden. Während die wertvolle, aus dem säkularisierten Kloster Klarenthal übernommene Ausstattung wie die Steinkanzel und die Epitaphien der Nassauer Grafenfamilie durch das Feuer zerstört wurden, konnte der Sarkophag der wenige Jahre zuvor jung verstorbenen Herzogin Elisabeth mit knapper Not gerettet werden. Er verblieb bis zu der Umbettung in die Russische Kapelle auf dem Neroberg in der Bonifatiuskirche. Dort feierte auch die obdachlos gewordene evangelische Gemeinde so lange ihre Gottesdienste, bis die Reithalle des herzoglichen Stadtschlosses als provisorischer Kirchenraum hergerichtet worden war.
Da die Sanierung der Ruine hohe Kosten erfordert hätte, entschloss sich die Gemeinde, eine „neue Hauptkirche“ zu errichten, die 1600 Sitzplätze umfassen sollte. Damit wurde ein schon länger diskutiertes Vorhaben realisiert, weil die Mauritiuskirche den rund 11 000 Gemeindegliedern der 1817 aus dem Zusammenschluss von Lutheranern und Reformierten entstandenen Christlich-Evangelischen Landeskirche nicht mehr genügend Raum geboten hatte. Zugleich sollte mit dem Bau eines „Nassauischen Landesdomes“ im protestantischen Herzogtum Nassau auch ein Gegengewicht zu der katholischen Bonifatiuskirche und dem Limburger Dom geschaffen werden. Obwohl der Herzog in der Evangelischen Landeskirche als oberster Bischof fungierte, beauftragte nicht die herzogliche Familie den Bau – die Hauptkirche des Nassauer Geschlechts verblieb immer im gräflichen Stammsitz, nämlich Weilburg -, sondern die evangelische Gemeinde selbst. Das erklärt auch den optisch wenig ins Auge fallenden Platz der Herzogsloge am Choransatz hinter der Kanzel und die Lage des „Kaisereingangs“ im Chorhaupt.
Weil sich das Staatsministerium nicht an der Planung beteiligen wollte, konnte der Kirchenvorstand der Gemeinde frei über den Standort und den Bauentwurf entscheiden und beauftragte am 26. Januar 1851 Baurat Carl Boos, einen geeigneten Platz für den Neubau zu suchen. Während Boos selbst im Sinne eines romantischen Architekturdenkmals das Gelände des Weinbergs hinter dem Schützenhof als Standplatz der neuen Kirche bevorzugt hätte, entschied sich der Kirchenvorstand gegen die Stimmen der Geistlichen nach der Prüfung der Bodenbeschaffenheit für den „Neuen Markt“ (heute Schlossplatz) gegenüber dem Stadtschloss der Nassauer Herzöge. Hier hatten zuvor das alte Amt- und Rezepturgebäude sowie im Bereich des heutigen Chores die Zehntscheuer gestanden, die niedergelegt wurden, nachdem Herzog Adolf am 19. März 1853 das in der Urkunde genau bezeichnete Domänengelände „der Kirchengemeinde gnädigst geschenkt hatte“. An der Nordseite der Kirche wurde zunächst das Pfarrhaus errichtet, das aber 1898 der im 2. Weltkrieg zerstörten Schlossplatzschule weichen musste. Seither steht die gesamte Kirche frei auf dem Platz.
Sobald der Standort der neuen Kirche bestimmt war, beauftragte die Gemeinde Boos ohne eine öffentliche Ausschreibung mit der Bauplanung. Den Vorgaben entsprechend sollte er „bei der Entwerfung des Planes zu einem einfachen würdigen und vor allem soliden Gebäude auf die möglichste Einsparung Bedacht nehmen“, dabei aber „die in akustischer Weise bewährte Basilikaform“ wählen und vor allem „einen hohen Turm für die Würde des Landesdomes“ vorsehen. Während man zunächst wohl an einen der Bonifatiuskirche ähnlichen Bau mit romanischen Rundbögen gedacht hatte, konnte Boos aufgrund seines großen Renommees mit dem am 14. Januar 1852 vorgelegten Entwurf einen Bau im „Spitzbogenstil“ durchsetzen.
Der am 8. März 1852 von den Nassauer Behörden genehmigte Plan von Boos sah ein basilikales Gebäude mit einem polygonalem Chor vor, bei dem sehr schmal angelegte Seitenschiffe ohne wirkliche Raumtiefe das Mittelschiff flankieren. Das deutlich ausgebildete Westwerk bekrönen ein Mittel- und zwei Seitentürme, zwei weitere Türme markieren den Choransatz. Ursprünglich war ein verputzter Bruchsteinbau aus Sonnenberger Sandstein vorgesehen, den Gewände, Strebepfeiler und Türme aus rotem Mainsandstein optisch akzentuiert hätten. Als jedoch über dem fertiggestellten Sockelgeschoss aus Bruchstein mit den Arbeiten am aufgehenden Mauerwerk begonnen werden sollte, entschied sich Boos für einen Backsteinbau mit Zierelementen aus rotem Mainsandstein. Trotz heftiger Kritik an diesem in Nassau wenig bekannten Material, zu dessen Verwendung auch das Gutachten des badischen Landesbaudirektors Heinrich Hübsch (1795 – 1863) erbeten wurde, begründete er seine Entscheidung später mit der Absicht, „ein bildsames und dauerhaftes Baumaterial einzuführen, damit einem an Hausteinen armen, aber an allen Tonarten reichen Land große Ausgaben erspart würden“. Die in Modeln gepressten Formsteine – benötigt wurden rd. 6,5 Mio. Ziegel – konnten industriell schnell und bei der hohen Stückzahl vor allem auch preiswert von der Wiesbadener Tonwarenfabrik Gottfried Witzel und der Ziegelei Philipp Vogel in Wiesbaden-Bierstadt hergestellt werden. Obwohl der Assistent von Boos, Alexander Fach, sich dafür in Berlin Rat bei einschlägigen Firmen geholt hatte, zeigt sich die noch geringe Erfahrung bei der Produktion an einem zu schwachen Brand der Steine, der bis heute ständige Reparaturen erfordert. Das Terrakottamaterial erleichterte seit 1858 auch die ebenfalls serienmäßige Fertigung des Außenzierats durch die später in der Wörthstraße ansässige Firma Höppli. Vergleichbare, aus Hausteinen gefertigte Zierelemente wären im wirtschaftlich wenig begüterten Herzogtum Nassau kaum finanzierbar gewesen. Dennoch täuscht der Eindruck eines Ziegelbaus. Auch wenn Boos den in Nassau nicht beheimateten Backstein wegen „Billigkeit, Schönheit und Dauerhaftigkeit“ vorgeschlagen hatte, besteht das Gebäude im Kern aus dem wenig witterungsbeständigen Sonnenberger Sandstein, dem nur eine einlagige Ziegelfassade vorgeblendet wurde. Erst die freistehenden Türme sind aus Ziegeln aufgemauert.
Die feierliche Grundsteinsteinlegung erfolgte am 22. September 1853 in Anwesenheit der herzoglichen Familie. Am 15. November 1856 konnte der Bau eingedeckt werden, und 1857 war der fertiggestellte Innenraum farbig gefasst. 1860 konzentrierten sich die Arbeiten auf das Portal, während der Aufbau der Türme bis 1862 dauerte. Die Baukosten beliefen sich auf insgesamt 368.212 Gulden. Die Brandversicherung hatte der Gemeinde für die zerstörte Mauritiuskirche den Betrag von 68 000 Gulden erstattet.
Bis 1892 behielt man für die neue Kirche den Namen „Evangelische Hauptkirche“ bei. Erst bei der damals erfolgten Aufteilung des zentralen Stadtgebietes in Markt-, Ring- Berg- und später noch Lutherkirchengemeinden wurde der bis heute gebräuchliche Name eingeführt.
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